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ATB-Seon - Geschichte

ATB-Seon

Der ATB-Seon war einer der Vereine welcher per 1. Januar 2016 mit SV-Seon-Niederlenz fusionierte. ATB stand einmal für Arbeiter Touring Bund, doch Heute steht die Abkürzung ATB für sich und hat keine Bedeutung mehr.
Nachfolgend wird ein Teil der 94 jährigen Geschichte des ATB-Seon erzählt.


Der Anfang

Am 21. Januar 1922 gründeten 11 Männer im Gasthof Bären die Sektion Seon des Arbeiter-Radfahrer-Bundes. Das Eingangsreferat hielt Genosse Bertschi von Egliswil. Er orientierte darüber, wozu der neue Bund dienen solle:
«...nicht dem Rennsport oder besser gesagt dem langsamen Selbstmord, sondern dem arbeitenden Volk zum Wohl, nannte Beispiele vom Generalstreik, wie sich die Arbeiter-Radfahrer ihre freie Zeit hergaben, als dem Oltener Aktions-Komitee alle Verbindungen abgeschnitten wurden für den Fernverkehr. Auch das Nötigste aus den Statuten brachte er zur Sprache.»
Dem ersten Vorstandgehörten an: Präsident: August Suter, Schriftsetzer, später Vizeammann und Grossrat. Aktuar: Jakob Rodel, Mechaniker, und als Kassier Albert Bütikofer, Wagner. Materialwart des neuen Vereins wurde Otto Dössegger, Velohandlung. Heute befindet sich dort eine Nähmaschinenvertretung. Die Sektion gab sich den Namen «Freie Radler Seon». Im Gegensatz zu andern Sportvereinen der damaligen Zeit nahm man auch von Anfang an Frauen als gleichberechtigte Mitglieder in den Verein auf. Die ersten drei waren: Gertrud Suter, Valerie Suter und Eliese Löscher-Kamm. Nebst diesen Frauen trugen sich noch 10 weitere Mitglieder in die Vereinsliste ein und am 10. Juni 1922 zählte der Verein 26 Mitglieder. Damit hatte er auch den Mitgliederbestand erreicht, den er auch in den mitgliederschwachen Jahren zwischen 1946 und 1949 nicht unterschreiten sollte und um 1970 gar auf 140 und mehr aktive Mitglieder und Versicherungsmitglieder zu steigern wusste.



Der erste Sektions-Präsident, August Suter am Jugendfest 1932

Velofahren als politische Tat

Mir sind die Protokolle des Arbeiter Gemischten Chores Seon bekannt. Mit diesen verglichen kommen die Protokollbücher der Arbeiter-Radfahrer Sektion «Solidarität» Freie Radler Seon einem Spiegel der klassenkämpferischen Atmosphäre jener Jahre gleich, in denen die gegensätzliche gesellschaftliche Herkunft bis hinein ins kulturelle und alltägliche Leben oft betont gesucht und auch gelebt wurde. In Sprache, Kleidung und Freizeit gab es zu wahrende Unterschiede. Auch was die politischen Ansichten betraf, wollte man offenbar den Freizeitwert des Velos unter Gleichgesinnten geniessen. Man fuhr am 12. November 1922 geschlossen nach Fahrwangen, um einem Vortrag des Genossen Greulich zu besuchen, weil es lehrreich sei, ihm zuzuhören, man spendete einige Jahre später an den Bau eines Volkshauses in Lenzburg, man abonnierte als zünftiges Mitglied die Arbeiterpresse und verzichtete nach längerer Diskussion 1922 darauf, das Fernbleiben an der Maifeier in Lenzburg mit einer Busse zu ahnden. Voraussetzung für die Aufnahme im Verein war für Männer die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft.

Das Vereinsleben in der Zwischenkriegszeit

In der Anfangszeit des Vereins fuhr man oft zu Fahnenweihen auswärtiger Sektionen und es erstaunt, in welchen zum Teil kleinen Dörfern solche stattfanden, so zum Beispiel in Densbüren-Asp. Dann gab es Sektionsausfahrten mit allen Mitgliedern. Voran fuhren der Fähnrich und der Fahrer mit dem am 10. Juni 1922 angeschafften Signalhorn. Des weitern unternahm man auch freiwillige Touren zur Teufelsschlucht bei Hägendorf, ins Wäggital oder zum Beispiel über die Sattelegg. Bei allen diesen Fahrten wurde das Velo als billiges Transportmittel benutzt, denn Reisen mit der Bahn waren für einzelne Mitglieder wohl auch einfach zu teuer. So beklagte sich 1923 ein Mitglied über die zahlreichen Ausfahrten in die nähere Umgebung, die ihm aufs Portemonnaie gingen und ein anderes trat sogar aus dem Verein aus, weil er sein Velo zu verkaufen gedachte. Es erstaunt deshalb nicht, dass man auch die Daheimgebliebenen die gemachte Reise nacherleben lassen wollte. Bis in die 50er-Jahre hinein veröffentlichten alle Vereine Berichte über ihre Ausflüge in der Lokalpresse. Uns Heutigen verdeutlichen sie die Freude über die gewonnene Mobilität und dass letztere sehr oft nur über zahlreiche platte Reifen zu erlangen war. Noch waren die wenigsten Strassen damals geteert. Auf diese Umstände weist der nächste Protokollauszug hin.

Vielfältig war die Kontaktpflege der Sektionen untereinander. Man lieh sich den Fahrradschmuck fürs Jugendfest bei einer andern Sektion aus, man besuchte ein Bezirksfest oder fragte die Lenzburger an, einen Kampfrichter zu stellen für das Vereinsschlussfahren. Man beteiligt sich am Jugendfest, zu dem alle meistens ein weisses Hemd, Hose und eine rote Schärpe trugen. Ein gewünschter Nebeneffekt dabei war auch immer die Propaganda für den Verein. Zweimal beteiligte man sich im genannten Zeitraum nicht daran. Beliebt in dieser Zeit waren auch die Ausfahrten auf die Bannalp. Gottlieb Suter, Landwirt und Mitglied des Vereins, soll sich so sehr zur Bannalp hingezogen gefühlt haben, dass er fast keine Ausfahrt dorthin verpasste. Mit den Worten: «Alice, mach du de Stall, ich gang uf d'Bannalp», pflegte er sich jeweils von daheim zu verabschieden. Bei allen Aktivitäten waren die Vereinsmitglieder angehalten, ein nach aussen günstig wirkendes Auftreten an den Tag zu legen. Wer nach den Ausfahrten sich nicht an der in geschlossener Formation stattfindenden Rückkehr beim Bären beteiligte, dessen Fahrt wurde nicht in die Jahresschlusswertung aufgenommen. Fast mag es scheinen, als ob die am Staat und Militär kritisierten autoritären Formen damals im Verein ihre Fortsetzung gefunden hätten.



Der ATB am Jugendfest von 1945. Der zweite Mann von links ist Alfred Suter-Grimm. Er fiel am 3. September 1961 in die Trümmelbachfälle. Sein Leichnam ist nie wieder aufgetaucht.

Nachkriegsjahre und Folgezeit

Während den Kriegsjahren hatte man die Vereinsaktivität auf kleinem Feuer aufrecht erhalten. Geschicklichkeitsfahren und Geselligkeit hatten ihren Platz. Doch mussten auch hier und da Vereinsanlässe wegen dem Aktivdienst ausfallen. Anschliessend kam es im Verein zu einem Umbruch der Generationen. Die alten Gründungsmitglieder stiessen mit ihrem sturen Festhalten an den während der Gründungszeit entstandenen Vereinsgebräuchen auf Widerstand. Die jüngere Generation wollte die alten Zöpfe nicht mehr so stark betont sehen und drang vermehrt darauf, die Tatsache zu berücksichten, dass man ein Veloclub und nicht ein Hündelerverein sei, wie sie sagte.

Ab 1950 begann die Mitgliederzahl unter dem Ehrenpräsidenten Max Urech wieder zu steigen. Beliebte Vereinsaktivitäten waren die Teilnahme am Jugendfest - zweimal sogar als Festwirt - das Tourenfahren ähnlich demjenigen des SRB's aber mit dem Unterschied, dass man nur die Teilnahme wertete und nicht die gefahrenen Kilometer. Des weiteren wurden Gelände- und Orientierungsfahrten organisiert. Beim Geländefahren ging es darum, auf vorgeschriebenen Wegen eine bestimmte Zahl Posten anzufahren und beim Orientierungsfahren desgleichen aber ohne Wegvorschriften. Hier konnte man sich frei im Gelände bewegen und so ans Ziel gelangen. Die wohl vereinstypischte sportliche Aktivität war das Hindernisfahren. Dabei musste man einen Parcours von rund zehn Hindernissen möglichst einwandfrei absolvieren, unter anderen: Ein Wippe, einen rechten Winkel innerhalb eines schmalen Streifens, eine Acht, einen Tennisball von einer Seite auf die andere legen und auf einer 5-7 m Langsamstrecke bestehend aus Brettern möglichst viel Zeit benötigen, aber dabei ja nicht in Stillstand geraten oder absteigen zu müssen. Gerne verband man solche Geschicklichkeitsfahrten mit einem die Vereinskasse aufbessernden Lottomatch. Kunstradfahren wurde in Seon nicht ausgeübt. Ab 1960 gab man das Tourenfahren auf, weil es wegen den zahlreich gewordenen Autos gefährlich geworden war. Dafür aber begab man sich jetzt hie und da auf eine Carfahrt mit der Firma Knecht, Seon.



Der ATB am Jugendfest von 1990

Eine neue und erfolgreiche Vereinsdisziplin: der Radball

1960 setzte man sich mit der Beschaffung von vier Radballvelos auseinander und beschaffte sich solche von der Sektion Windisch für 450 Fr. Radballobmann Willi Dössegger begann mit zwei Zweiermannschaften in der Kategorie C des ATB. Bald spielte die erste Mannschaft hier in der Kategorie A und um 1970 umfasste die Radballgruppe 8 - 10 Mannschaften, meistens 5 Aktiv- und 3 Juniorenmannschaften. 1990 vereinigten die beiden Verbände ATB und SRB ihre Radballgruppen und führten eine gemeinsame Meisterschaft durch. Seon spielte bis heute in der zweitstärksten, von insgesamt 5 Ligen, in der Nationalliga B. Der Radballsport brachte auch wiederjunge Leute in den Verein, der seit 1933 auch stets eine Jugendgruppe geführt hat. Gegenwärtig ist der Radball die einzige sportliche Aktivität. Gepflegt werden aber immer noch Kameradschaft und geselliges Beisammensein. Welchen Weg der Verein gegangen ist in seiner 80-jährigen Geschichte, ist auch an der Umbenennung des Schweizerischen Verbandes zu erkennen. Auf seiner Homepage heisst es: «Der ATB gegründet 1916 als Arbeiter-Radfahrer-Bund wurde im Jahre 1995 umbenannt in Verband "ATB für Verkehr-Sport-Freizeit"».



Peter Schmid und Hans-Rudolf Rupp

Quelle:
Beitrag aus dem "Seener Spiegel", Ausgabe 2000/2001, erstellt von Willy Wyrsch anhand der Protokollbücher des ATB Seon und ergänzt durch Auskünfte von Max Urech und Willy Dössegger.

 SV Seon-Niederlenz (17.10.2016)